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Der Blinde

Von

Man setzt ihn hinter einen Gartenzaun.
Da stört er nicht mit seinen Quälerein.
„Sieh dir den Himmel an!“ Er ist allein.
Und seine Augen fangen an zu schaun.

Die toten Augen. „O, wo ist er, wie
Ist den der Himmel? Und wo ist sein Blau?
O Blau, was bist du? Stets nur weich und rauh
Fühlt meine Hand, doch eine Farbe nie.

Nie Purpurrot der Meere. Nie das Gold
Des Mittags auf den Feldern, nie den Schein
Der Flamme, nie den Glanz im edlen Stein,
Nie langes Haar, das durch die Kämme rollt.

Niemals die Sterne. Wälder nie, nie Lenz
Und seine Rosen. Stets durch Grabesnacht
Und rote Dunkelheit werd ich gebracht
In grauenvollem Fasten und Karenz.“

Sein bleicher Kopf steigt wie ein Lilienschaft
Aus magrem Hals. Auf seinem dürren Schlund
Rollt wie ein Ball des Adamsapfels Rund.
Die Augen quellen aus der engen Haft,

Ein Paar von weißen Knöpfen. Denn der Strahl
Des weißen Mittags schreckt die Toten nicht.
Der Himmel taucht in das erloschene Licht
Und spiegelt in dem bleiernen Opal.

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Gedicht: Der Blinde von Georg Heym

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Blinde“ von Georg Heym thematisiert eindringlich die Isolation und die innere Qual eines blinden Menschen. Heym zeichnet das Bild eines Mannes, der aus der Gesellschaft ausgeschlossen und „hinter einen Gartenzaun“ gesetzt wird – eine symbolische Trennung von der Welt der Sehenden. Bereits in den ersten Versen wird seine Einsamkeit und die Tragik seines Zustands deutlich: Er bleibt „allein“, während um ihn herum von der Schönheit des Himmels gesprochen wird, die für ihn unerreichbar bleibt.

Das lyrische Ich lässt den Blinden selbst zu Wort kommen. In einem inneren Monolog beklagt er die absolute Abwesenheit von Farben und Licht in seiner Wahrnehmung. Seine Welt ist von Dunkelheit geprägt – „Grabesnacht“ und „rote Dunkelheit“ sind Bilder für die trostlose Leere, die ihn begleitet. Besonders bedrückend ist die Aufzählung dessen, was ihm für immer verwehrt bleibt: das „Purpurrot der Meere“, das „Gold des Mittags“, der „Glanz im edlen Stein“ oder das „lange Haar“ einer Frau. Diese Dinge verkörpern das sinnliche Erleben der Welt, das ihm fehlt.

Heyms Bildsprache ist von starker Kontraste geprägt. Der Blinde wird als körperlich schwach und verzehrt beschrieben: Ein „bleicher Kopf“ auf einem „mageren Hals“, die „weißen Knöpfe“ der Augen wirken unheimlich und erinnern an Tote. Der „weiße Mittag“, der für andere Licht und Leben bedeutet, hat auf den Blinden keine Wirkung – sein „erloschenes Licht“ spiegelt sich nur im „bleiernen Opal“ seiner Augen. Damit wird der Blinde selbst zum Sinnbild für das Ausgeschlossensein von der lebendigen, farbigen Welt.

„Der Blinde“ ist ein typisch expressionistisches Gedicht, das innere Not und existenzielle Vereinsamung thematisiert. Heym setzt dabei auf starke, teils verstörende Bilder, um den Schmerz und die Entfremdung des lyrischen Ichs zu verdeutlichen. Der Blinde steht exemplarisch für das menschliche Leiden an einer Welt, die ihm fremd und unerreichbar bleibt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.