Der Abend
Versunken ist der Tag in Purpurrot,
Der Strom schwimmt weiß in ungeheurer Glätte.
Ein Segel kommt. Es hebt sich aus dem Boot
Am Steuer groß des Schiffers Silhouette.
Auf allen Inseln steigt des Herbstes Wald
Mit roten Häuptern in den Raum, den klaren.
Und aus der Schluchten dunkler Tiefe hallt
Der Waldung Ton, wie Rauschen der Kitharen.
Das Dunkel ist im Osten ausgegossen,
Wie blauer Wein kommt aus gestürzter Urne.
Und ferne steht, vom Mantel schwarz umflossen,
Die hohe Nacht auf schattigem Kothurne.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Der Abend“ von Georg Heym beschreibt eine herbstliche Abendstimmung, die von intensiven Farben und einer mystischen Atmosphäre geprägt ist. Die Natur wird in eindrucksvollen Bildern eingefangen, während sich der Tag langsam dem Ende zuneigt. Der Purpur des Himmels, das weiße Glitzern des Flusses und die Silhouette des Schiffers erschaffen eine fast malerische Szenerie, die zugleich ruhig und erhaben wirkt.
Ein zentrales Motiv des Gedichts ist der Übergang vom Tag zur Nacht, der durch die herbstlichen Elemente – den „roten Häuptern“ der Bäume – und die heraufziehende Dunkelheit im Osten visualisiert wird. Die Natur scheint dabei nicht nur Kulisse zu sein, sondern selbst eine Stimme zu haben: Der Ton der Wälder, der an das „Rauschen der Kitharen“ erinnert, verleiht der Szene eine musikalische und fast mythische Dimension. Diese Verbindung von Natur und Klang lässt das Bild einer beseelten Landschaft entstehen.
Sprachlich arbeitet Heym mit starken Farb- und Klangbildern, die die Stimmung zwischen Melancholie und Erhabenheit oszillieren lassen. Die aufkommende Nacht wird dabei personifiziert: Als „hohe Nacht“ auf „schattigem Kothurne“ erhält sie etwas Theatralisches, fast Göttergleiches, was dem Gedicht eine dramatische Note verleiht. Insgesamt thematisiert das Gedicht die Vergänglichkeit des Tages und den Einbruch der Nacht auf eine fast feierliche, rituelle Art, wobei die Natur als Spiegel dieser Übergangsstimmung fungiert.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.