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Zwei Wandrer

Von

Ein Stummer zieht durch die Lande,
Gott hat ihm ein Wort vertraut,
Das kann er nicht ergründen,
Nur einem darf er′s verkünden,
Den er noch nie geschaut.

Ein Tauber zieht durch die Lande,
Gott selber hieß ihn gehn,
Dem hat er das Ohr verriegelt,
Und jenem die Lippe versiegelt,
Bis sie einander sehn.

Dann wird der Stumme reden,
Der Taube vernimmt das Wort,
Er wird sie gleich entziffern,
Die dunkeln göttlichen Chiffern,
Dann ziehn sie gen Morgen fort.

Daß sich die beiden finden,
Ihr Menschen, betet viel.
Wenn, die jetzt einsam wandern,
Treffen einer den andern,
Ist alle Welt am Ziel.

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Gedicht: Zwei Wandrer von Friedrich Hebbel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Zwei Wandrer“ von Friedrich Hebbel ist eine allegorische Darstellung der menschlichen Suche nach Erleuchtung und Verständnis, sowie der Notwendigkeit von Kommunikation und Gemeinschaft für spirituelles Wachstum. Es verwendet die Metaphern eines stummen und eines tauben Wanderers, die dazu bestimmt sind, sich zu treffen und gemeinsam ein göttliches Geheimnis zu entschlüsseln.

Der stumme Wanderer, dem ein Wort „vertraut“ wurde, repräsentiert denjenigen, der eine Botschaft oder ein Wissen in sich trägt, es aber nicht mitteilen kann. Die Einschränkung, dass er es nur „einem“ verkünden darf, deutet auf eine tiefe, persönliche Erfahrung oder Wahrheit hin, die erst in der richtigen Begegnung ihre volle Bedeutung entfaltet. Der taube Wanderer, dem das Hören verwehrt wurde, symbolisiert denjenigen, der die Möglichkeit zur Erkenntnis hat, aber sie nicht unmittelbar wahrnehmen kann. Ihre gegenseitige Unfähigkeit, sich individuell auszudrücken bzw. zu empfangen, unterstreicht die Notwendigkeit einer transzendenten Verbindung.

Die Wendung im dritten Abschnitt markiert den Wendepunkt des Gedichts. Wenn sich die beiden treffen, wird der Stumme sprechen und der Taube hören – ein Moment der Erleuchtung und gegenseitigen Ergänzung. Die „dunkeln göttlichen Chiffern“ werden gemeinsam „entziffert“, was das Verständnis und die Offenbarung des göttlichen Geheimnisses symbolisiert. Dieses gemeinsame Erfassen des Wortes führt zur Hoffnung, dass sie dann „gen Morgen fort“ ziehen können, was für einen Neubeginn, eine neue spirituelle Reise oder die Erreichung eines höheren Zustands steht.

Die abschließende Strophe ist ein Aufruf an die Menschheit, für diese Begegnung zu beten. Die Vereinigung der beiden Wanderer, die zuvor einsam wanderten, wird als das „Ziel“ aller Welt betrachtet. Dies unterstreicht die zentrale Botschaft des Gedichts: wahre Erkenntnis und Erfüllung sind nur durch Gemeinschaft, gegenseitige Unterstützung und die gemeinsame Suche nach spirituellem Verständnis möglich. Das Gedicht ist somit eine Mahnung zur Hoffnung und zum Glauben an die Kraft der Kommunikation und des Zusammenhalts.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.