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Mysterium

Von

Oh, könnte ich den Faden doch gewinnen,
Der, mich mit Gott und der Natur verknüpfend,
Und, abgewickelt, das Geheimste lüpfend,
Verborgen sitzt im Geist und in den Sinnen!

Wie wollte ich ihn mutig rückwärts spinnen,
Bis er mir, endlich von der Spindel hüpfend,
Und in den Mittelpunkt hinüberschlüpfend,
Gezeigt, wie All und Ich in eins zerrinnen.

Nur fürchte ich, daß, wie ich selbst Gedanken,
Die gleich Kometen blitzten, schon erstickte,
Eh′ ich verging in ihrem glühnden Lichte,

So auch das All ein Ich, das, seiner Schranken
Vergessen, an das Welten-Rätsel tickte,
Aus Notwehr, eh′ es tiefer dringt, vernichte.

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Gedicht: Mysterium von Friedrich Hebbel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Mysterium“ von Friedrich Hebbel reflektiert die Sehnsucht nach Erkenntnis und die gleichzeitige Furcht vor dem Wissen. Der Dichter drückt den Wunsch aus, die verborgenen Zusammenhänge zwischen Gott, der Natur, dem Geist und den Sinnen zu verstehen, um das Mysterium des Seins zu ergründen. Die Metapher des Fadens, der alles verbindet, symbolisiert das Streben nach einer tieferen, vereinheitlichenden Wahrheit.

Hebbel verwendet bildhafte Sprache, um diese Suche zu veranschaulichen. Der „Faden“, der „abgewickelt“ und „das Geheimste lüpfend“ das Unsichtbare sichtbar machen soll, wird zum zentralen Bild. Das „Ich“ des Dichters möchte den Faden „mutig rückwärts spinnen“, um die Ursprünge und das Wesen der Welt zu erfassen, und schließlich das All und das Ich als Einheit zu erleben. Die Verwendung von Begriffen wie „Spindel“, „Mittelpunkt“ und „in eins zerrinnen“ verstärkt das Gefühl der Einheit und der Auflösung von Grenzen, das Hebbel anstrebt.

Die zweite Strophe offenbart jedoch eine tiefe Verunsicherung. Die Angst vor dem Scheitern und der Zerstörung des eigenen Geistes und der Welt dominiert. Hebbel befürchtet, dass seine eigenen „Gedanken, die gleich Kometen blitzten“ erstickt wurden, bevor er die Wahrheit erkennen konnte. Diese Angst wird auf das Universum projiziert, das, „seiner Schranken vergessen“, dem Rätsel der Welt zu nahe kommt und aus „Notwehr“ zerstört wird.

Somit ist das Gedicht nicht nur eine Suche nach Wissen, sondern auch eine Auseinandersetzung mit der Grenzen des menschlichen Verstandes und den möglichen Konsequenzen der Erkenntnis. Hebbel zeigt die Ambivalenz zwischen dem Drang nach Erkenntnis und der Furcht vor den Geheimnissen des Universums, die möglicherweise zu groß sind, um vom menschlichen Geist verstanden zu werden. Das Gedicht endet mit einer pessimistischen Note, die auf die Unmöglichkeit des vollständigen Erkennens und der potenziellen Selbstzerstörung durch das Streben nach Wissen hindeutet.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.