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Das Spinnlein

Von

Nei, lueget doch das Spinnli a,
wie’s zarti Fäde zwirne cha!
Bas Gvatter, meinsch, chasch’s au ne so?
De wirsch mer’s, traui, blibe lo.
Es macht’s so subtil und so nett,
i wott nit, aß i ’s z’hasple hätt.
Wo het’s die fini Riste gno,
bi wellem Meister hechle lo?
Meinsch, wemme ’s wüßt, wol mengi Frau,
sie wär so gscheit, und holti au!
Jez lueg mer, wie ’s si Füeßli sezt,
und d’Ermel streift, und d’Finger nezt.
Es zieht e lange Faden us,
es spinnt e Bruck ans Nochbers Hus,
es baut e Landstroß in der Luft,
morn hangt sie scho voll Morgeduft,
es baut e Fußweg nebe dra,
’s isch, aß es ehne dure cha.
Es spinnt und wandlet uf und ab,
potz tausig, im Galopp und Trab!
Jez goht’s ringum, was hesch, was gisch!
Siehsch, wie ne Ringli worden isch?
Jez schießt es zarti Fäden i.
Wird’s öbbe solle gwobe si?
Es isch verstuunt, es haltet still,
es weiß nit recht, wo ’s ane will,
’s goht weger zruck, i sieh’s em a;
’s muß näumis Rechts vergesse ha.
‚Zwor‘, denkt es, ’sel pressiert jo nit,
i halt mi nummen uf dermit.‘
Es spinnt und webt, und het kei Rast,
so gliichlig, me verluegt si fast.
Und ’s Pfarers Christoph het no gseit,
’s seig jede Fade zsemmegleit.
Es mueß ein guti Auge ha,
wer’s zehlen und erchenne cha.
Jez puzt es sini Händli ab,
es stoht, und haut der Faden ab.
Jez sizt es in si Summerhus,
und luegt die lange Stroßen us.
Es seit: ‚Me baut si halber z’tod,
doch freut’s ein au, wenn’s Hüsli stoht.‘
In freie Lüfte wogt und schwankt’s,
und an der liebe Sunne hangt’s;
sie schint em frei dur d’Beinli dur,
und ’s isch em wohl. In Feld und Flur
sieht ’s Mückli tanze, jung und feiß;
’s denkt bi nem selber: ‚Hätti eis!‘
O Tierli, wie hesch mi verzückt!
Wie bisch so chlei, und doch so gschickt!
Wer het di au die Sache glehrt?
Denkwol der, wonis alli nährt,
mit milde Händen alle git.
Bis z’frieden! Er vergißt di nit.
Do chunnt e Fliege, nei wie dumm!
Sie rennt em schier gar ’s Hüsli um.
Sie schreit und winslet Weh und Ach!
Du arme Chetzer hesch di Sach!
Hesch keine Auge bi der gha?
Was göhn di üsi Sachen a?
Lueg, ’s Spinnli merkt’s enanderno,
es zuckt und springt und het si scho.
Es denkt: ‚I ha viel Arbet gha,
jez mußi au ne Brotis ha!‘
I sag’s jo, der, wo alle git,
wenn’s Zit isch, er vergißt ein nit.

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Gedicht: Das Spinnlein von Johann Peter Hebel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Das Spinnlein“ von Johann Peter Hebel beschreibt mit liebevoller Detailgenauigkeit und leichtem Humor das emsige Treiben einer kleinen Spinne. Hebel nimmt den Leser mit in die Welt dieses kleinen Wesens und zeigt dessen Geschick und Fleiß beim Spinnen eines Netzes. Die Beobachtung der Spinne wird zu einer Bewunderung ihrer Kunstfertigkeit, denn das Spinnlein baut mit zarten Fäden eine „Brücke“ und „Landstraße in der Luft“ – Bilder, die die scheinbar unscheinbare Leistung der Spinne poetisch überhöhen.

Der Erzähler zeigt große Achtung vor dem Fleiß und der Raffinesse der Spinne und zieht zugleich einen Vergleich zu den Menschen, die sich an dieser Natürlichkeit und Perfektion ein Beispiel nehmen könnten. Dabei spricht Hebel direkt zu seinem „Gvatter“ und macht die Szene dadurch lebendig und alltagsnah. Trotz der Einfachheit des Motivs wird die Spinne hier fast zu einem Symbol für Geduld, Ausdauer und das stille Schaffen im Einklang mit der Natur.

Mit der Ankunft der Fliege wechselt die Tonlage ins Dramatische. Während das Spinnlein friedlich sein Werk betrachtet und sich über das fertige Netz freut, wird es zugleich als Teil des Kreislaufs der Natur gezeigt – das Netz dient nicht nur der Schönheit, sondern auch dem Überleben. Die gefangene Fliege muss dem Spinnlein als Nahrung dienen. Hebel schafft es, diesen natürlichen Vorgang mit einer Mischung aus Ernst und mildem Humor darzustellen, ohne dabei die Grausamkeit der Natur zu verschweigen.

Das Gedicht endet mit einer religiösen Note: Die Erinnerung daran, dass „der, wo alle git“, niemanden vergisst, zieht eine Parallele zwischen der Fürsorge Gottes und dem Überlebensinstinkt der Spinne. Hebel verbindet hier Naturbetrachtung, leise Ironie und Glaubenszuversicht zu einer poetischen Reflexion über Fleiß, Ordnung und das Eingebundensein aller Lebewesen in einen größeren Zusammenhang.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.