In das Album meiner Frau
In deiner Seele unbefleckten Adel,
In ihrer Unschuld, wurzeln deine Schwächen,
Und was die meisten vor gemeinem Tadel
Bewahrt, das ist ihr innerstes Gebrechen.
Es könnte einer dir das Leben rauben,
Und wäre dir schon halb dein Blut entquollen,
So würdest du ihm noch im Sterben glauben,
Er hätt′ dir bloß die Ader öffnen wollen.
Will die Natur die Schönheit rein entfalten,
So darf sie nichts von ihrem Feind ihr sagen,
Sie kann nur dann das Herrlichste gestalten,
Doch muß sie seinen Untergang auch wagen.
Oft wünscht′ ich dir zu deinem vollen Frieden,
Du möchtest in der Brust des Feindes lesen,
Doch weiß ich wohl, es wird dir nicht beschieden,
Denn dieser Mangel trägt dein ganzes Wesen!
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „In das Album meiner Frau“ von Friedrich Hebbel ist eine tiefgründige Reflexion über die Natur von Tugend, Verletzlichkeit und die Paradoxie der menschlichen Existenz. Es ist ein intimes Porträt der geliebten Frau, in dem ihre vermeintlichen „Schwächen“ als untrennbarer Bestandteil ihrer Tugenden und ihres Wesens gedeutet werden.
Der erste Abschnitt stellt eine überraschende These auf: Die Reinheit und Unschuld der Seele der Frau sind die Wurzeln ihrer Schwächen. Was andere vor Tadel bewahrt, also ihre Tugendhaftigkeit, wird paradoxerweise zu ihrem größten Gebrechen. Dies deutet auf eine Welt hin, in der die Grenzen zwischen Stärke und Schwäche verschwimmen, und in der die hohe ethische Haltung der Frau sie anfällig für Täuschung und Ausbeutung macht. Die Metapher des „unbefleckten Adels“ und der „Unschuld“ unterstreicht ihre moralische Reinheit, die sie gleichzeitig verwundbar macht. Das Bild einer Frau, die selbst im Angesicht des Todes Vertrauen in ihren vermeintlichen Mörder setzt, verdeutlicht diese extreme Verletzlichkeit und die Gefahr, die von der übermäßigen Naivität ausgeht.
Der zweite Teil des Gedichts erweitert diese Thematik durch einen Vergleich mit der Natur. Wenn die Natur Schönheit hervorbringen will, darf sie die Wahrheit über ihre Feinde nicht offenbaren. Die Erschaffung des Schönsten ist nur möglich, wenn die Natur bereit ist, den „Untergang“ ihrer Feinde zu riskieren. Dies wirft die Frage auf, ob das Streben nach Vollkommenheit und Schönheit die Opferung der eigenen Sicherheit und des Schutzes vor Schaden beinhaltet. Die Natur als Schöpferin wird hier als Spiegelbild der Frau gesehen, die ihre Reinheit und Unschuld mit einem gewissen Risiko für ihr eigenes Wohlergehen verbindet.
Im abschließenden Abschnitt drückt der Dichter seinen Wunsch aus, seine Frau möge die wahre Natur ihrer Feinde erkennen, um Frieden zu finden. Doch er erkennt gleichzeitig, dass dies unmöglich ist, denn der Mangel an dieser Fähigkeit ist untrennbar mit ihrem Wesen verbunden. Dies ist ein bittersüßer Schluss, der die Tragweite der in diesem Gedicht aufgeworfenen Fragen unterstreicht. Es verdeutlicht die unauflösliche Spannung zwischen dem Wunsch nach Schutz und dem Festhalten an den eigenen Prinzipien. Der Dichter akzeptiert die Verwundbarkeit seiner Frau als integralen Bestandteil ihrer Persönlichkeit, was dem Gedicht eine tiefe emotionale Resonanz verleiht.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.