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Das Kind

Von

Die Mutter lag im Totenschrein,
zum letztenmal geschmückt;
da spielt das kleine Kind herein,
das staunend sie erblickt.

Die Blumenkron‘ im blonden Haar
gefällt ihm gar zu sehr,
die Busenblumen, bunt und klar,
zum Strauß gereiht, noch mehr.

Und sanft und schmeichelnd ruft es aus:
„Du liebe Mutter, gib
mir eine Blum‘ aus deinem Strauß,
ich hab‘ dich auch so lieb!“

Und als die Mutter es nicht tut,
da denkt das Kind für sich:
Sie schläft, doch wenn sie ausgeruht,
so tut sie’s sicherlich.

Schleicht fort, so leis‘ es immer kann,
und schließt die Türe sacht
und lauscht von Zeit zu Zeit daran,
ob Mutter noch nicht erwacht.

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Gedicht: Das Kind von Friedrich Hebbel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Das Kind“ von Friedrich Hebbel behandelt die Thematik des Todes aus der Perspektive eines Kindes, das den Tod der Mutter noch nicht begreifen kann. Im Mittelpunkt steht die Unschuld und Naivität des Kindes, das in einer kindlichen Logik den Tod mit Schlaf verwechselt und auf das Erwachen der Mutter wartet. Die Szene wirkt dabei zugleich rührend und tragisch.

Durch die Darstellung des Kindes, das die Blumen der Mutter bewundert und sich liebevoll an sie wendet, entsteht ein Kontrast zur kalten Endgültigkeit des Todes. Das Kind spricht die tote Mutter direkt an und bittet um eine Blume – eine Szene, die die emotionale Kluft zwischen der Unschuld des Kindes und der Wirklichkeit des Todes betont. Besonders der Satz „ich hab‘ dich auch so lieb!“ zeigt, dass das Kind Liebe geben möchte und die Situation noch nicht in ihrer Tragweite erfasst.

Hebbel nutzt einfache, klare Sprache und kindliche Motive wie Blumen, um die Perspektive des Kindes authentisch darzustellen. Gleichzeitig erzeugt er eine melancholische Stimmung, die durch die Ahnung des Lesers, was wirklich geschehen ist, verstärkt wird. Die Mutter im „Totenschrein“ und der „letzte Schmuck“ sind klare Hinweise auf den Tod, doch für das Kind bleibt dies nur ein Schlaf. Die sanfte Schilderung, wie das Kind leise die Tür schließt und immer wieder lauscht, verdeutlicht die Hilflosigkeit und das stille Hoffen des Kindes.

Das Gedicht thematisiert somit das Unverständnis und die Unschuld im Umgang mit Tod und Verlust, zeigt aber auch, wie Kinder versuchen, sich in einer für sie unerklärlichen Situation zurechtzufinden. Hebbel gelingt es, Trauer, Liebe und kindliche Hoffnung eindringlich und feinfühlig miteinander zu verweben.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.