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Erster Flug

Von

Noch einmal erfülle mich brausendes Spiel!
Vom Gedärm der Erde ackre dich bloß;
Stampfe, bäume dich, schwanke los,
Steige – sei ohne Grenze und Ziel!
Blaue Monteure rennen im Trab,
einem schlägt es die Arme ab;
Messingtrompeten verdünnen die Lüfte,
Toiletten, Autos, gespitzte Bärte;
Mitaufsteigen des Feldes Düfte
Und eines fernen Zuges Fährte.
Die krüppligen Menschen sind dein nicht mehr.

Höre den Strom! Er fliegt vor dir her.
Hinter dir schreit der Motor. Lass ihn morden.
Mensch aus Fleisch Du bist Stahl geworden!
Riesengross aus dem Violetten
Bricht die Sonne auf wie ein Brandgeschwür;
Alles ergänzt sich zu Flächen und Ketten,
Sehnsucht, dass wir Flügel hätten,
Schwebt; ein schlankes, schwarzes Tier.
Wald, Fabrik und Marionetten
Graben sich wie Maulwürfe ein.
Und die Erde kriecht wie Wein
Langsam trunken aus den Betten.

Hinaus denn, Zeit an der ich hänge!
Wir fahren und alles ist stillgestellt.
Die Ungeduld deiner Taten, deiner Gesänge
Bricht aus Jahrhunderte langer Enge
Du hast begonnen vollende die Welt!
Werde Form, was deine Maschine trug!
Hinaus denn, Zeit nach der ich dränge!
Sei Eisen! Sei Höhensteuer! Sei Flug!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Erster Flug von Walter Hasenclever

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Erster Flug“ von Walter Hasenclever ist eine expressionistische Feier des technischen Fortschritts und der Überwindung der Schwere der Erde. Das lyrische Ich erlebt den Flug als ekstatischen Moment des Aufbruchs und der Befreiung. Gleich zu Beginn wird die Bewegung nach oben beschworen: Das „brausende Spiel“ und das „Steige – sei ohne Grenze und Ziel!“ betonen die Aufhebung von Begrenzungen und die Loslösung vom Irdischen. Der Akt des Fliegens erscheint als Befreiungsschlag gegen die „krüppligen Menschen“ der Erde und gegen die Fesseln des Alltags.

Die Bildsprache ist von Gewalt und Rausch geprägt: „blaue Monteure“, ein „abgeschlagener Arm“, „Messingtrompeten“, der „Motor“ der „morden“ lässt – der technische Fortschritt wird nicht nur als Aufstieg, sondern auch als zerstörerische Kraft beschrieben. Dabei wird das Ich im Flug zu etwas Neuem: „Mensch aus Fleisch Du bist Stahl geworden!“ – ein typisches Motiv des Expressionismus, das die Verschmelzung von Mensch und Maschine betont. Der Aufstieg wird als Metamorphose erlebt, die über das Menschliche hinausgeht.

Auch das Verhältnis zur Welt verändert sich: Landschaften und Menschen werden zu abstrahierten Flächen, Ketten und Mustern, während die „Erde kriecht wie Wein“ – ein Bild für die Verzerrung der Wahrnehmung im Höhenrausch. Der Blick aus der Luft entzaubert die Welt unten, die als „Marionetten“ und „Maulwürfe“ erscheint. Der Flug versetzt das lyrische Ich in einen Zustand der Überlegenheit und entfesselten Dynamik.

In den letzten Versen wird der Flug in ein größeres, fast metaphysisches Bild überführt: Die „Zeit“, an der der Mensch bisher „hing“, wird überwunden. Aus der „Enge“ der Jahrhunderte bricht die neue Kraft hervor, die sich im technischen Flug manifestiert. Das Gedicht endet mit einem emphatischen Aufruf: „Sei Eisen! Sei Höhensteuer! Sei Flug!“ – der Mensch soll sich endgültig mit der Maschine vereinen und den Schritt in eine neue, grenzenlose Zukunft wagen. Hasenclever gestaltet hier das Motiv des ersten Flugs als ekstatische, gewaltige Vision von Modernität, Entfesselung und Selbstüberschreitung.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.