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Der politische Dichter

Von

Aus den Zisternen unterirdischer Gruben
Aufstößt sein Mund in Städte weißen Dampf,
Im rasend ausgespritzten Blut der Tuben
Langheulend Arbeit, Pause, Nacht und Kampf.

Mit Zwergen, die auf Buckeln riesig tragen
Der Lasten harte, eingefleischte Schwären,
Mit Sklaven, denen unter Peitschenschlagen
Die Beule reißt am Ruder der Galeeren.

Sein Arm bricht durch gewaltige Kanonaden
Von Völkerschwarm zum Mord gehetzter Heere,
Durch Kot und Stroh und faulend gelbe Maden
Im Kerker aller Revolutionäre.

Oft hängt sein Ohr an kleinen Dächerfirnen,
Wenn aus der Stadt die großen Glocken schlagen,
Mit vielen schweren und gebeugten Stirnen
Gefangenschaft der Armut zu ertragen.

Wenn nächtlich in den Kinos Unglück schauert.
Der Hunger bettelt hinter Marmorhallen,
Misshandelt stirbt ein Kind und zugemauert
In Kasematten grobe Flüche fallen.

Wenn Defraudanten sich von Brücken werfen.
Im Lichtschein der Paläste aufgewiegelt,
Wenn Anarchisten ihre Messer schärfen.
Mit einem dunkeln Schwur zur Tat besiegelt.

Wenn Unrecht lodernd als der Wahrheit Feuer
Tyrannenhäupter giftig übersprießt.
Bis aus dem Wurm der Erde ungeheuer
Der Blitz des Aufruhrs, der Empörung schießt.

Ah dann: auf höchsten Türmen aller Städte
Hängt ausgespannt sein Herz in Morgenröte;
Asphaltene Dämmerung in des Schläfers Bette
Verscheucht Trompetenton: Steh auf und töte!

Steh auf und töte; Sturmattacken wüten.
Die Ketten rasen von Gewölben nieder.
An Ufern schweigend Parlamente brüten.
Die Kuppel birst. Schon lärmen Freiheitslieder.

Gezückte Rhapsodie berittener Schergen
Jagt quer durch Löcher, leer von Pflastersteinen.
Tumult steigt. Hindernis wächst auf zu Bergen.
Zerstampfte Frauen hinter Läden weinen.

Doch von den Kirchen donnern die Posaunen,
Schmettern Häuser dröhnend auf das Pflaster.
Die Telegraphen durch Provinzen raunen,
Es zuckt in Dynamit der Morsetaster.

Die letzten Züge stocken in den Hallen.
Geschütze rasseln vorwärts und krepieren.
Zerfetzte Massen sich im Blute ballen.
Die Straße klafft auf umgestürzten Tieren.

Aus Fenstern siedet öl in die Alleen,
Wo Platzmajore aufgespießt verschimmeln.
Der Abend brennt, auf den Fabriken wehen
Die roten Fahnen von den grauen Himmeln. –

Halt ein im Kampf! Auch drüben schlagen Herzen.
Soldaten, Bürger: kennen wir uns wieder ?
Brüderliches Wort in Rauch und Schmerzen.
Es sammelt sich der Zug. Formiert die Glieder.

Versöhnte Scharen nach dem Schlosse biegen,
Bis hoch auf dem Balkon der Herrscher steht:
„Nehmt vor den Toten, die hier unten liegen.
Den Hut ab und verneigt Euch, Majestät!“ –

Lichtlose Asche. Nacht auf Barrikaden.
Gewalt wird ruchbar, alles ist erlaubt.
Die Diebslaterne schleicht im Vorstadtladen.
Plünderung hebt das Skorpionenhaupt.

Gewürm aus Kellern kriecht ins Bett der Reichen;
Auf weiße Mädchen fällt das nackte Vieh.
Sie schneiden Ringe ab vom Rumpf der Leichen.
Dumpf aus Kanälen heult die Anarchie.

Im Rohen weiter tanzt die wilde Masse
Mit Jakobinermützen, blutumbändert.
Gerechtigkeit, Gesetz der höchsten Rasse:
Vollende du die Welt, die sie verändert

Ihr Freiheitskämpfer, werdet Freiheitsrichter,
Bevor die Falschen euer Werk verraten.
Von Firmamenten steigt der neue Dichter
Herab zu irdischen und größern Taten.

In seinem Auge, das den Morgen wittert,
Verliert die Nacht das Chaos der Umhüllung.
Die Muse flieht. Von seinem Geist umzittert

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der politische Dichter von Walter Hasenclever

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der politische Dichter“ von Walter Hasenclever entfaltet eine monumentale, visionäre Darstellung von Revolution, sozialer Not und dem Ruf nach Umsturz. Das lyrische Ich erscheint als „politischer Dichter“, der nicht nur beobachtet, sondern Teil des revolutionären Geschehens wird. Bereits die ersten Strophen sind geprägt von Bildern des Elends und der Unterdrückung: Gruben, Sklaven, Galeeren und Zwerge, die riesige Lasten tragen, zeigen eine Welt der Ausbeutung und des Leidens. Das Gedicht baut eine Szenerie auf, in der soziale Ungerechtigkeit und Klassenkampf dominieren.

Mit zunehmender Dramatik schildert Hasenclever die Eskalation in den Städten: Hungernde, verzweifelte Kinder, Selbstmorde, Anarchisten und revolutionäre Gewalt breiten sich aus. Die Sprache bleibt bildgewaltig und greift oft ins Apokalyptische: „Blitz des Aufruhrs“, „Trompetenton: Steh auf und töte!“ oder „berittener Schergen“ erzeugen eine Atmosphäre der Dringlichkeit und der radikalen Veränderung. Die „roten Fahnen“ auf den Fabriken verweisen auf den kommunistischen oder sozialistischen Bezug der Revolte.

Hasenclever reflektiert aber auch die Ambivalenz der Gewalt. Der Aufruf zum Aufstand kippt schließlich in Chaos, Plünderung und Barbarei, als „Gewürm aus Kellern kriecht“ und „Anarchie“ zu einem zerstörerischen, unkontrollierten Element wird. Es ist ein kritischer Blick auf die Gefahren der Revolution, die von ihrem Ideal abdriften und in sinnlose Gewalt und Zerstörung umschlagen kann. Dennoch bleibt das Pathos des Freiheitskampfes präsent, besonders im Aufruf, dass die „Freiheitskämpfer“ auch zu „Freiheitsrichtern“ werden müssen, um das Erreichte nicht durch die „Falschen“ verraten zu lassen.

In den letzten Versen erscheint der Dichter selbst als Visionär, der die Rolle des politischen Poeten mit einem klaren moralischen Auftrag versieht. Er wird zur Figur, die „den Morgen wittert“ und mit ihrem Geist die dunkle, chaotische Welt zu durchdringen sucht. Die Muse flieht – der Dichter verabschiedet sich vom Ästhetischen und wird zum Akteur, der „größere Taten“ auf der Bühne der Geschichte anstrebt. Damit schließt das Gedicht als Manifest für eine engagierte, kämpferische Kunst, die sich in die gesellschaftliche Umwälzung einschaltet.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.